– Vier Tage vor Kriegsbeginn: „Ich verlasse mich sehr auf dich“: ein Telefonat zwischen Macron und Putin im Wortlaut:
Wladimir Putin und Emmanuel Macron pflegten stets regelmäßigen Kontakt und einen direkten Umgang. Bisher unterlagen die Gespräche der beiden immer der Geheimhaltung – nun ist ein Mitschnitt eines Telefonats im Februar veröffentlicht worden. Vier Tage nach dem Call begann der Krieg. Das hatten sich die Staatschefs zu sagen.
Am 20. Februar, vier Tage vor Ausbruch des Angriffskrieges gegen die Ukraine, telefonierte der französische Präsident Emmanuel Macron mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. In dem Gespräch fordert Macron Putin auf, die Lage in der Ostukraine nicht eskalieren zu lassen. Er bittet den russischen Staatschef außerdem, sich mit US-Präsident Joe Biden zu treffen – Putin sagt zu, doch das Treffen kommt nie zustande. Ein französischer Journalist durfte bei dem Gespräch zugegen sein und hat nun einen Mitschnitt des Telefonats veröffentlicht.
Im folgenden der Wortlaut des Gesprächs, wie die französische Zeitung „Le Temps“ ihn zitiert.
Emmanuel Macron: Seit unserem letzten Gespräch haben die Spannungen nicht aufgehört, stärker zu werden, und du weißt von meinem Engagement und meiner Entschlossenheit, den Dialog aufrechtzuerhalten. Ich möchte, dass du mir zunächst sagst, wie du die Situation einschätzt, und mir vielleicht auf recht direkte Weise, wie wir es beide tun, deine Absichten mitteilst. Und dann wollte ich versuchen zu sehen, ob es noch sinnvolle Aktionen gibt, die man durchführen könnte, und dir einige Vorschläge machen.
Wladimir Putin: Was soll ich sagen? Du siehst selbst, was passiert. Du und Kanzler Scholz habt mir gesagt, dass Selenskyj zu einer Geste bereit wäre, dass er einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Minsker Abkommens vorbereitet habe. (…) In Wirklichkeit hat unser geschätzter Kollege Herr Selenskyj gar nichts getan. Er lügt euch an. (…) Ich weiß nicht, ob du gestern seine Ansprache gehört hast, in der er sagte, die Ukraine sollte Zugriff auf Atomwaffen erhalten. Ich habe außerdem deine Aussagen auf der Pressekonferenz in Kiew am 8. Februar gehört. Du hast gesagt, dass man das Minsker Abkommen überarbeiten müsse, ich zitiere, ‚damit es anwendbar ist‘.
Macron: Wladimir, zunächst einmal: Ich habe nie gesagt, dass das Minsker Abkommen überarbeitet werden muss. Ich habe das nie gesagt, weder in Berlin, noch in Kiew, noch in Paris. Ich habe gesagt, dass man es umsetzen muss, dass man die Dinge einfach respektieren muss, und ich sehe die letzten Tage nicht so wie du.
Putin: Hör zu, Emmanuel, ich verstehe euer Problem mit den Separatisten nicht. Sie tun auf unser Drängen hin wenigstens alles Nötige, um einen konstruktiven Dialog mit der ukrainischen Regierung zu eröffnen.
Macron: Zu dem, was du gesagt hast, Wladimir, mehrere Anmerkungen: Erstens, das Minsker Abkommen ist ein Dialog mit euch, da hast du vollkommen recht. In diesem Zusammenhang ist es aber nicht vorgesehen, dass die Grundlage der Diskussion ein von den Separatisten vorgelegter Text wäre. Und wenn dein Verhandlungsführer also versucht, den Ukrainern aufzuzwingen, auf der Grundlage von Plänen der Separatisten zu diskutieren, dann hält er sich nicht ans Minsker Abkommen. Nicht Separatisten werden Vorschläge zu ukrainischen Gesetzen machen!
Putin: Es ist richtig, wir haben tatsächlich eine unterschiedliche Lesart der Situation. Bei unserem letzten Gespräch habe ich dich an die Artikel 9, 11 und 12 des Minsker Abkommens erinnert und sie dir sogar vorgelesen.
Macron: Ich habe sie gerade vor mir! Hier steht, dass die ukrainische Regierung – Paragraf 9, und so weiter – Gesetzesentwürfe vorlegt, und dass dies in Absprache und im Einvernehmen mit den Vertretern einiger Bezirke der Regionen Donezk und Lugansk im Rahmen der trilateralen Kontaktgruppe geschieht. Das ist genau das, was wir vorschlagen zu tun. Ich weiß also nicht, wo dein Jurist Recht studiert hat. Ich selbst schaue mir nur die Texte an und versuche, sie anzuwenden! Und ich weiß nicht, welcher Jurist dir sagen könnte, dass in einem souveränen Land die Gesetzesentwürfe von separatistischen Gruppen vorgelegt werden und nicht von der demokratisch gewählten Regierung.
Putin: (in einem genervten Ton) Das ist keine demokratisch gewählte Regierung. Sie ist durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen, Menschen wurden bei lebendigem Leibe verbrannt, es war ein Blutbad und Selenskyj ist einer der Verantwortlichen. Hör mir gut zu: Das Prinzip eines Dialogs besteht darin, die Interessen der anderen Seite zu berücksichtigen. Die Vorschläge sind da, die Separatisten, wie du sie nennst, haben sie den Ukrainern unterbreitet, aber sie haben keine Antwort erhalten. Wo ist der Dialog?
Macron: Ich habe dir doch bereits gesagt, uns ist egal, was die Separatisten vorschlagen. Was wir von ihnen verlangen, ist, dass sie auf die Texte der Ukrainer reagieren, und so muss das gemacht werden, denn das ist das Gesetz! Das, was du gerade gesagt hast, stellt ein bisschen deinen eigenen Willen infrage, das Minsker Abkommen einzuhalten, wenn du der Meinung bist, du hättest eine nicht legitimierte und terroristische Regierung vor dir.
Putin: (immer noch sehr genervt) Hör mir gut zu. Hörst du mich? Ich sage es dir noch einmal: Die Separatisten, wie du sie nennst, haben auf die Vorschläge der ukrainischen Regierung reagiert. Sie haben geantwortet, aber eben diese Regierung ist nicht darauf eingegangen.
Macron: Also gut: Auf der Grundlage ihrer (der Separatisten) Antwort auf die Texte der Ukrainer schlage ich vor, dass wir ein Treffen von allen Parteien im Rahmen der Kontaktgruppe veranlassen, um weiter voranzukommen. Wir können das schon morgen fordern, und von allen Beteiligten verlangen, dass es keine Politik des leeren Stuhls gibt. In den letzten beiden Tagen haben sich die Separatisten jedoch nicht zu dieser Diskussion bereiterklärt. Ich selbst werde dies im Anschluss von Selenskyj fordern. Sind wir uns darüber einig? Wenn wir uns einig sind, leite ich das in die Wege und fordere ein Treffen gleich morgen.
Putin: Um ganz klar zu sein: Sobald wir aufgelegt haben, werde ich diese Vorschläge prüfen. Aber von Anfang an hätte man Druck auf die Ukrainer ausüben müssen, aber niemand wollte es tun.
Macron: Doch, ich tue mein Bestes, um sie zu drängen, das weißt du.
Putin: Ich weiß, aber das ist leider nicht wirkungsvoll.
Macron: Du musst mir ein bisschen helfen (schelmisch). Die Situation an der Kontaktlinie ist sehr angespannt. Ich habe Selenskyj gestern wirklich zur Ruhe aufgerufen. Ich werde ihm noch einmal sagen, beruhige sie alle, beruhige die sozialen Netzwerke, beruhige die ukrainischen Streitkräfte. Ich sehe aber auch, dass du wirklich dazu aufrufen könntest, deine in Stellung gebrachten Streitkräfte zu beruhigen. Gestern gab es viele Bombardements. Wenn man dem Dialog eine Chance geben will, muss man die Lage in der Region beruhigen. Wie siehst du die Entwicklung der Militärübungen?
Putin: Die Übungen laufen nach Plan.
Macron: Also sind sie heute Abend beendet, richtig?
Putin: Ja, wahrscheinlich heute Abend, und wir werden auf jeden Fall eine militärische Präsenz an der Grenze belassen, solange die Lage im Donbass nicht beruhigt wird. Diese Diskussion wird in Absprache mit dem Verteidigungs- und dem Außenministerium stattfinden.
Macron: In Ordnung. Wladimir, ich sage dir ganz ehrlich, für mich ist es eine absolute Bedingung, die Diskussionen wieder in den richtigen Rahmen zu bringen und Spannungen zu vermeiden. Und mir ist wichtig – und ich bitte dich wirklich darum –, dass wir die Situation unter Kontrolle haben. Das ist die erste Säule. Und ich verlasse mich sehr auf dich. Gehe in den nächsten Stunden und Tagen nicht auf wie auch immer geartete Provokationen ein. Ich möchte dir ganz konkret zwei Vorschläge machen. Der erste ist, bald in den nächsten Tagen in Genf ein Treffen zwischen dir und Präsident Biden zu organisieren. Ich habe am Freitagabend mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob ich dir diesen Vorschlag machen kann. Er hat mir gesagt, ich solle dir sagen, dass er dazu bereit sei. Präsident Biden hat auch darüber nachgedacht, wie man die Situation auf glaubwürdige Weise deeskalieren, deine Forderungen berücksichtigen und die Frage der Nato und der Ukraine sehr deutlich ansprechen kann. Nenne mir einen Termin, der dir passt.
Putin: Vielen Dank, Emmanuel. Es ist mir immer eine große Freude und eine große Ehre, mit euren europäischen Amtskollegen zu sprechen, genau wie mit den Vereinigten Staaten. Und es ist mir immer eine große Freude, mit dir zu sprechen, weil wir in einem Vertrauensverhältnis zueinander stehen. Daher, Emmanuel, schlage ich dir vor, die Dinge umzukehren. Zuallererst müssen wir dieses Treffen vorbereiten. Erst danach können wir reden, denn wenn wir einfach so kommen, um über alles und nichts zu reden, wird man uns das wieder vorwerfen.
Macron: Aber kann man sagen, heute, nach dem Ende dieser Diskussion, dass wir uns über das Prinzip einig sind? Ich hätte dazu gerne eine klare Antwort von deiner Seite. Ich verstehe deinen Widerwillen in Bezug auf ein Datum, aber bist du bereit, einen Schritt weiterzugehen und heute zu sagen „Ich wünsche ein Treffen zu zweit mit den Amerikanern und dann mit den Europäern“, oder nicht?
Putin: Das ist ein Vorschlag, der es verdient, in Betracht gezogen zu werden, und wenn du willst, dass wir in seiner Formulierung genau aufeinander abgestimmt sind, dann schlage ich vor, dass unsere Berater einander anrufen sollen, um sich abzustimmen (…) aber du sollst wissen, dass ich im Prinzip zustimme.
Macron: Sehr gut, du bestätigst mir, dass du im Prinzip einverstanden bist. Ich schlage vor, dass unsere Teams (…) versuchen, einen gemeinsamen Text fertigzustellen, eine Art Kommuniqué zum Ergebnis dieses Calls.
Putin: Um dir nichts zu verbergen, ich möchte jetzt Eishockey spielen gehen, ich spreche gerade vor dem Training aus der Sporthalle mit dir. Ich werde erst einmal meine Berater anrufen.
Macron: Vielen Dank in jedem Fall, Wladimir. Wir bleiben in Echtzeit in Kontakt. Sobald etwas passiert, rufst du mich an.
Putin: (auf Französisch) Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
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